Wirtschaftswende Ost

Ein Geschichtsprojekt über die ostdeutsche Wirtschaft in den Wendejahren 1989 bis 1994




Im Gespräch mit... Michael Gürtler (HSW Woltersdorf eG)

"Wir hatten einfach Erfolg!"

(2. Teil des bearbeiteten Zeitzeugengesprächs | Den 1. Teil finden Sie hier. Das komplette und vollständig transkribierte Interview findet sich hier als .pdf-Datei (0,6 MB).. )



WW-Ost: Was waren denn die weiteren großen Herausforderungen in der Wendezeit, neben der Reprivatisierung und der Neuorganisation der Genossenschaft?

MG: Was für uns 1990 und Folge eine große Rolle gespielt hat, war natürlich der riesige Bedarf, der da war. Es gab ja damals nicht nur den Riesenbedarf an Fernsehern und anderen Konsumgütern, sondern auch viele private Wohngebäude und gewerbliche Bauten waren stark sanierungsbedürftig, beispielsweise hinsichtlich der maroden Heizungen. Gleichzeitig führte der riesige Nachwendebedarf auch wieder zu Materialknappheit, weil ja keine Industrie und kein Lieferant darauf vorbereitet war. Da war auch wieder eine Menge Geschick und auch Geld erforderlich, um diesen Materialfluss am Laufen zu halten. Insgesamt haben wir von dem enormen Bedarf gut profitiert. Hinzu kam zudem noch die Geschäftsausweitung auf den Tiefbau. In der Spitze, so um 1995, waren wir 140 Leute. Und heute sind wir um die 90 Leute, knapp unter 90.

WW-Ost: Stichwort 1. Juli 1990, Währungsunion: Welche Auswirkungen hatte die D-Mark-Einführung damals auf die frisch gegründete Genossenschaft?

MG: Also für die Genossenschaft war das nicht so spannend. Das war einfach eine andere Währung. Spannend war es eher für unsere Mitarbeiter, die nun alle D-Mark in die Hand bekamen.

WW-Ost: Wie würden Sie denn die ersten Nachwende-Jahre für Ihre Genossenschaft zusammenfassend beschreiben?

MG: In den ersten Jahren war es von der Auftragsseite her keine unsichere Zeit. Da war sofort Boom da, da war sofort Nachfrage da. Wir sind ja dann auch wahnsinnig gewachsen. Aber dass das 1998 schon wieder vorbei war, das hat damals keiner für möglich gehalten. Also wir haben nicht gedacht, dass man es schafft, im Wesentlichen den Bedarf innerhalb von acht Jahren zu decken. Ab 1997/98 gab es dann eine Auftragsflaute bis weit nach 2000. Da waren nachher auch die Investitionsvorhaben des Landes gefragt, um den Markt wieder anzuschieben.

WW-Ost: Was waren denn in der Nachwendezeit die größeren Projekte, an denen Ihre Genossenschaft beteiligt war?

MG: Eines der größeren Projekte hier direkt vor Ort war das Krankenhaus Rüdersdorf, das stark sanierungsbedürftig war. Das haben wir mit einem großen mittelständischen Betrieb aus Westberlin zusammen in einer Arbeitsgemeinschaft abgewickelt. Zu nennen wäre auch die Zusammenarbeit mit der EWE, die gleich 1990 als Energieversorger hierher kam. Die haben kilometerweise Rohr verbuddelt, um ihr Gas in die einzelnen Haushalte zu transportieren. Und wir waren dabei. Zudem haben wir später auch am Olympiastadion in Berlin mitgearbeitet. Das Olympiastadion selber ist ja eine tolle Geschichte geworden. Nur darüber hat keiner gesprochen. Es hat nur jeder darüber gesprochen, dass die Walter Bau damals Pleite gegangen ist mit Pauken und Trompeten. Das war übrigens einer der Gründe, dass wir uns nie am Flughafenprojekt BER beteiligt haben.

WW-Ost: Wo Sie gerade von der Pleite von Walter Bau sprechen: Das war sicher auch so eine neue Erfahrung in der Wendezeit, dass plötzlich einzelne Aufträge einfach nicht mehr bezahlt werden?

MG: Leider, leider, haben wir das tatsächlich relativ schnell kennen lernen müssen. Wir waren beispielsweise für den österreichischen Baukonzern Maculan als Tiefbauunternehmen am Bau einer Autobahnbrücke quasi vor unserer Tür beteiligt. Dort haben wir bei der Pleite von Maculan unseren ersten großen, nennenswerten Verlust gehabt. Weit über 100.000 D-Mark haben wir damals verloren. Das hat uns natürlich verdammt weh getan.

WW-Ost: Vielleicht in dem Zusammenhang gleich die Frage: Können Sie sich noch erinnern, wie die Zusammenarbeit in der Wendezeit mit den Banken war? Waren die bei der Finanzierung von Projekten eventuell eher zurückhalten aufgrund der VEB-Vorgeschichte?

MG: Das kann ich nicht bestätigen. Bei uns vor der Tür hat die Commerzbank eine Filiale eröffnet und war sozusagen mit uns zusammen in Aufbruchstimmung. Die handelnden Leute, die damals aus den alten Bundesländern gekommen sind, und – das muss ich wirklich anerkennend sagen – die ihr Geschäft beherrscht haben, die haben den Investitionsbedarf gesehen, haben den Kreditbedarf gesehen und haben uns relativ großzügig den benötigten Kredit eingeräumt. Wobei später, also ich sage mal um 2000 herum, ist es schwieriger geworden. Das hatte einfach auch damit zu tun, dass die Leute, die damals diese Aufbruchstimmung hatten, nicht mehr da waren. Da mussten wir dann leider die Commerzbank als Hausbank aufgeben. Heute haben wir die Berliner Volksbank und auch die Sparkasse. Volksbank eG passt natürlich super zu uns, ganz klar.

WW-Ost: Sie haben eben auch von einer Arbeitsgemeinschaft mit einem Westberliner Unternehmen gesprochen. Können Sie sich noch erinnern, wie der Kontakte damals zustande kam?

MG: Also wir haben ja den großen Vorteil gehabt, dass wir Berlin West vor der Tür haben. Das hat natürlich eine große Rolle gespielt für uns. Die Westberliner Firmen waren ja in der Mauerzeit auch eingeengt. Die hatten gar nicht den Bedarf für ihre Kapazitäten, die hatten auch Auftragsschwächen. In der Wendezeit erkannten sie dann natürlich schnell das Potenzial neuer Bauaufträge auch im Berliner Umland. Und da haben sie dann rasch den Kontakt zu den umliegenden Betrieben gesucht. Dadurch, dass wir auch schon damalig einer der größten Betriebe waren, klopften sie dann auch relativ schnell an unsere Tür.

WW-Ost: Und wie verlief diese Zusammenarbeit aus Ihrer Sicht?

MG: Was ich unbedingt bestätigen muss, ist, dass die Leute offen waren. Sie haben uns unheimlich viel geholfen was etwa die ganze Materialbeschaffung über den Großhandel anbelangte oder die neuen Techniken oder auch das Erstellen von Kalkulationen und Abrechnungen. Wenn wir jetzt irgendwo tief im Land gewesen wären – da weiß ich gar nicht, wie das für die Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern oder so war. Jedenfalls für uns hat die Nähe zu Berlin West eine große Rolle gespielt. Bei der Geschäftserweiterung in den Tiefbau haben wir dann auch noch mit Betrieben aus dem Oldenburg Raum zusammengearbeitet. Die waren hier über die EWE stark engagiert. Zu denen haben wir dann auch unsere Mitarbeiter hingeschickt, teilweise für mehrere Monate, um die neuesten Techniken, Verlegetechniken, da zu lernen. Das hat uns auch unheimlich genutzt.

WW-Ost: Sie haben ja nach der Wende auch selbst viel investiert. Was waren denn dabei so die größeren Sanierungs- bzw. überhaupt die Investitionsvorhaben?

MG: Im Grund begann es schon beim kleinen Werkzeug, etwa bei der Bohrmaschine. Auch in Fahrzeuge mussten wir investieren. Zudem haben wir die Tiefbau-Sparte aufgebaut. Dabei haben uns natürlich auch die damaligen Sonderabschreibungsmöglichkeiten geholfen. Aber auch 25 Jahre nach der Wende haben wir immer noch Investitionsbedarf. Das betrifft zum Beispiel Gebäude aus der DDR-Zeit, die heute noch immer nicht verputzt sind. Hier sagen wir einfach, dass wir nicht zwangsläufig in den Betriebssitz Millionen investieren müssen, nur um schick auszusehen. Sondern wir müssen es dann machen, wenn wir es uns wirtschaftlich leisten können.

WW-Ost: Gab es rückblickend Sachen, die noch hätten besser laufen können?

MG: Ach, das weiß ich nicht. Wir haben Gott sei Dank immer schwarze Zahlen geschrieben. Wir haben über die 25 Jahre wirklich jeden Jahresabschluss schwarz abgeschlossen. Aber ich weiß nicht, was passiert wäre, auch wie die Generalversammlungen gelaufen wären, wenn es irgendwo um ein Minus gegangen wäre. Am Ende muss man wohl einfach sagen: Wir waren erfolgreich.

WW-Ost: Das ist doch ein gutes Schlusswort. Vielen Dank für das Interview, Herr Gürtler.

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